"Wir sind bei unserem Plan jetzt auf Stufe sieben"
Carles Puigdemont will das autonome Katalonien in die Unabhängigkeit von Spanien führen. Für diese Mission würde er auch größte Opfer bringen, sagt er. Für sein Ziel hat er noch 13 Monate Zeit.
Carles Puigdemont reist nicht gerne in Spaniens Hauptstadt. Doch das Pokalfinale des FC Barcelona gegen den FC Sevilla in Madrid wollte er persönlich sehen. Den Sieg seines Klubs feierte er gleich doppelt mit dem Tweet "Barça gewinnt das Finale der Esteladas". Die Flagge der katalanische Unabhängigkeit, die Estelada, hatte die Gemüter erhitzt, denn eine Madrider Behörde wollte den Fans aus Katalonien untersagen, das Symbol für die Loslösung von Spanien zu schwenken. Ein Richter griff im Flaggenstreit ein und hob das Verbot wieder auf.
Das freute auch den 130. Präsidenten in der Geschichte der reichen nordostspanischen Region, die sich schon immer von Spanien benachteiligt fühlt. Er sieht sich in historischer Mission unterwegs: Er will Katalonien binnen 18 Monaten in die Unabhängigkeit führen.
"Erstmals in unserer Geschichte hat ein sezessionistisches Parteienbündnis die Mehrheit im Parlament hinter sich gebracht und von den Katalanen ein klares Mandat erhalten", sagt Puigdemont der "Welt". Nun führe kein Weg zurück. "2012 gab es gerade einmal 14 sezessionistische Abgeordnete, das waren zehn Prozent der Stimmen, jetzt haben wir 72 Abgeordnete, 48 Prozent der Stimmen und die Mehrheit der Abgeordneten."
Bevor es zur Unabhängigkeitserklärung kommen könne, müsse diese Mehrheit noch ausgebaut werden. "Ich war schon immer Befürworter eines eigenen, freien katalanischen Staates", stellt Puigdemont klar.
Ein Kind der Franco-Diktatur
Als Jugendlicher erlebte er noch die Franco-Diktatur, als die Katalanen ihre Sprache nicht sprechen durften, danach dann den Übergang in die Demokratie. "Das hat mich geprägt", so Puigdemont. Nach der Schule entschied er sich zunächst für ein Studium der Altphilologie, das er jedoch wegen eines schweren Verkehrsunfalls abbrechen musste. Später schlug er die Journalistenlaufbahn ein.
Puigdemont machte schnell Karriere. Er gründete die staatliche Nachrichtenagentur Agencia Catalana de Notícies (ACN) und wurde Chefredakteur der Zeitung "Catalonia Today". Für die monatlich auf Englisch erscheinende Zeitung, deren primäres Ziel es ist, auch Ausländern innerkatalanische Themen zu erklären, arbeitet auch seine Frau, die gebürtige Rumänin Marcela Topor, mit der er zwei Töchter hat. Für die Familie hat Puigdemont jetzt nicht mehr so viel Zeit wie früher, als er noch Bürgermeister von Girona, der Hauptstadt der Sezessionsbewegung, war.
"Das war eine tolle Zeit, da war ich so glücklich", räumt der Katalane offen ein. Das Amt des Ministerpräsidenten nahm er nur an, weil sich sein Parteienbündnis Junts pel Sí (Gemeinsam für das Ja) mit der linksalternativen CUP auf keinen anderen Kandidaten einigen konnte. Die CUP lehnte nämlich seinen Vorgänger Artur Mas als Regierungschef ab, weil sie ihn für schmerzhafte Einschnitte bei den Sozialausgaben und für Korruptionsfälle in der Regierungspartei mitverantwortlich machte.
Puigdemonts Regierungsbündnis ist fragil
Die politische Blockade zum Jahresende hätte fast zu Neuwahlen geführt, wenn sich die Streithähne nicht in letzter Minute auf Puigdemont als Kompromisskandidaten verständigt hätten. "Ich konnte den Kopf nicht in den Sand stecken, ich hatte allerdings gehofft, dass der Kelch an mir vorübergeht, aber ich musste die Herausforderung annehmen. Jetzt bin ich stolz darauf, Regierungschef von Katalonien zu sein", so Puigdemont, den seine Freunde kurz "Puigdi" nennen.
Die Antikapitalisten von der CUP, auf deren Stimmen Puigdemont angewiesen ist, machen allerdings auch ihm zu schaffen und weigern sich bislang, seinen Haushalt abzusegnen. Das Regierungsbündnis ist äußerst fragil, doch Puigdemont lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
Das ist neben der Fähigkeit zum analytischen Denken eine seiner größten Stärken, wie Freunde und Weggefährten erzählen. Zwei Drittel des Wegs in Richtung Unabhängigkeit will Puigdemont schon bewältigt haben. Das drückt er auf einer Skala aus: "Wenn die Unabhängigkeit zehn wäre, das Referendum neun, die Einberufung acht, dann sind wir jetzt bei Stufe sieben."
Drei Entkoppelungsgesetze hat seine Regierung auf den Weg gebracht, zuletzt die Bildung einer eigenen katalanischen Sozialversicherungsbehörde. "Wir haben uns von Spanien emanzipiert und machen unsere eigenen Gesetze. Wir sind dabei, die Strukturen des neuen Staats aufzubauen, wir müssen ja juristische Sicherheit haben, die internationalen Verträge berücksichtigen, das sind mehr als 3000 Vereinbarungen, die auch für uns gelten."
Die Drohungen der konservativen Madrider Regierung von Mariano Rajoy, Katalonien würde im Falle einer selbst erklärten Unabhängigkeit automatisch aus der EU ausgeschlossen, lassen ihn angeblich kalt. "Wir sind europäische Bürger und eine wirtschaftlich bedeutende Region. Ich bin sicher, dass die EU einen darwinistischen Pragmatismus an den Tag legen wird, was unser Land anbelangt", sagt Puigdemont und versucht so, die Befürchtung eines sogenannten Catexit abzutun.
Verfechter der europäischen Idee
Der Katalane ist ein glühender Verfechter der europäischen Idee und will keinesfalls, dass beim anstehenden Referendum in Großbritannien die Brexit-Befürworter den Sieg davontragen. "Wir wollen ein starkes Europa. Ohne Großbritannien ist das nicht denkbar. Aber ich finde es prinzipiell bewundernswert, dass die Briten frei darüber entscheiden können, was sie wollen."
Solchen politischen Mut würde sich Puigdemont auch in Spanien wünschen. Die Unabhängigkeitsgegner hätten vor der letzten Wahl im September eine Angstdebatte entfacht. "Es gab Drohungen, man warnte uns vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch, sogar Barça sollte nicht mehr in der spanischen Liga spielen. Denen war wirklich kein Mittel zu schade, um uns einzuschüchtern."
Den Lärm aus Madrid und die Verbote des Verfassungsgerichts erträgt der Katalane mit demonstrativem Gleichmut, ebenso wie die Drohungen, das alles habe Konsequenzen für ihn und er könne sogar im Gefängnis landen. "Ich bin ein demokratisch gewählter Präsident und habe vom katalanischen Parlament ein ganz klares Mandat erhalten. Ich bin daher bereit, den Weg bis zum Ende zu gehen, selbst wenn ich dafür einen Preis zahlen muss."
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